Abtreibungsverbot in Polen: Wenn durch Religion wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert werden müssen
Der Abtreibungskonflikt in Polen entflammt immer mehr und viele Bürger*innen protestieren vehement: Das Verfassungsgericht in Warschau erklärte am 22.10.2021 eine bisher geltende Ausnahmeregelung vom Abtreibungsverbot für verfassungswidrig. Laut dieser Ausnahmeregelung waren Schwangerschaftschatsabbrüche bislang legal, wenn der Fötus schwerste Fehlbildungen aufwies. Nach Ansicht der polnischen Richter*innen verstoß dies gegen das in der polnischen Verfassung garantierte Recht auf Leben. Dem medizinischen Personal in Polen sind nun die Hände gebunden. Bisher ist nicht festgelegt, ab wann das Risiko des Lebens der Mutter Grund genug ist, um eine Abtreibung durchzuführen. Die Ärzt*innen befinden sich in einem Zwiespalt, weil die Regierungspartei noch kein neues Abtreibungsgesetz verabschiedet hat. Deswegen weiß das medizinische Personal nicht, ob und, wenn bei welchem Zustand der Mutter durch eine Fehlbildung des Fötus es noch legal ist, oder ihnen dann eine Haftstrafe drohe. So entscheiden sich die Ärzt*innen meist den sicheren Weg zu gehen. Diese aktuelle Rechtsunsicherheit beschreibt auch die polnische Expertin Kaja Filacynska in einem Interview im November 2021: „Frauen können nicht sicher sein, ob sie nach bestem medizinischen Wissen behandelt werden. Das ist die Verantwortung der Regierung.“
Aufgrund dieses restriktiven Abtreibungsverbotes starb im Herbst 2021 eine 30-jährige Frau an einem septischen Schock als Folge der Schwangerschaft. Den Mediziner*innen war bewusst, dass die Frau zu wenig Fruchtwasser habe, um das Kind lebend zu gebären. Sie waren jedoch gezwungen, den Tod des Ungeborenen im Mutterleib abzuwarten, bevor sie eingreifen durften. All dies wäre zu vermeiden gewesen, hätte man sich auf die Erkenntnisse der Wissenschaft stützen dürfen und eine Abtreibung aufgrund medizinischer Indikation durchgeführt, ohne sich strafbar zu machen. Die Verantwortlichen müssen die Wissenschaft und ihre Erkenntnisse ignorieren und todkranke Babies müssen zur Welt gebracht werden, auch gegen den Willen und ohne Rücksicht auf das Wohl der Mütter. Im Grunde genommen herrscht ein fast komplettes Schwangerschaftsabbruchsverbot, da nur noch Abtreibungen aufgrund krimineller Indikation definitiv erlaubt sind. Diese machten in den vorherigen Jahren allerdings bloß 2% aller Abtreibungen aus.
In Polen bekommt die Regierung in ihren Entscheidungen bezüglich der Abtreibungsverschärfungen Rückenwind von der katholischen Kirche, die durch ihre Bischöfe den Wahlkampf der rechtskonservativen Regierungspartei unterstützten und somit auch in der Lage sind, die Politiker*innen zu beeinflussen. Oberhäupter der katholischen Kirche sprachen sich in der Vergangenheit häufig öffentlich für die Abtreibungspläne aus. So beispielsweise der polnische Dominikaner-Mönch Pawel Guzynski:
„Die katholische Kirche war schon immer der Ansicht, dass das menschliche Leben heilig ist. Dafür sprechen religiöse und philosophische Argumente. Das religiöse Argument lautet: Du sollst nicht töten, wie das fünfte Gebot sagt.“
Auch radikale Lebensschützer*innen, die sich meist in katholischen Gemeinden zusammenfinden, haben in Polen sehr gute Chancen auf Erfolg. Schon 2014 sammelten sie 400.000 Unterschriften für ein absolutes Abtreibungsverbot. Daran ist erkennbar , dass auch Teile von Polens Gesellschaft konservativ sind und religiös mit dem Schutz des Lebens argumentieren. Der verbreitete christliche Fundamentalismus führt zu einer Tendenz, dem Abtreibungsverbot zuzustimmen.